Gedanken zu Weihnachten 2020
Rechtzeitig zum Sonntag Gaudete war auf dem Gelände der Gemeinde Hl. Familie gut sichtbar ein über drei Meter großer, künstlicher Felsen mit Beleuchtung, verschiedene Farben, Schnee und Engeln, und einer vollständigen Krippe einschließlich der Drei Könige zu sehen. Zehn junge Katholiken aus Vietnam hatten daran tagelang gearbeitet. Meine schwachen Einwände, dass doch dafür noch später die eigene Kirchenzeit Weihnachten gedacht sei, kam gar nicht an, bei so viel Freude am Erbauen und Ablichten dieser großen Darstellung. Im Facebook ist das Kunstwerk nun schon bald weltweit zu betrachten.
Ja, in Vietnam, da ist die Vorfreude bedeutsam und groß angelegt. Da gibt es einen regelrechten Wettbewerb zwischen den katholischen Nachbarn, wer die größte, schönste, bunteste Krippe wird aufstellen können, ganze Straßenzüge sind schon ab Dezember geschmückt. Manchmal gibt es dann auch Reibereien mit den örtlichen Polizeibehörden, die das katholische Schauspiel etwas beargwöhnen. Das von vielen Nöten, Kriegen, Umweltzerstörung und Überschwemmungen, sowie von großer Migration und Landflucht heimgesuchte Vietnam, lässt sich trotz allem das Feiern, die Freude nicht nehmen und sie will gezeigt werden! Das weltberühmte Lied „Stille Nacht, Heilige Nacht“ folgt als Kirchenlied in Vietnam einem ganz anderen Text: „Unendlich heilige Nacht, Freude ist jetzt überall! Erd und Himmel werden vereinigt…“ So beginnt dort die 1. Strophe nach der Melodie von Franz Gruber. Kein Gedanke dabei an eine Stille Nacht, wo einsam das traute Paar wacht! Wer je in Vietnam war, weiß, dass man dort gar nicht allein sein kann, überall ist es voller Menschen. So sind die Straßen in Vietnam am 24.12. übervoll mit Motorrädern, feiernden, ausgelassenen Menschen, jeder Religion, da man das Noel Fest, nicht versäumen will.
Das Leben der jungen Migranten in Deutschland ist nicht leicht. Auch sie haben, fern der Heimat und der eigenen Familie, viele Probleme zu bewältigen. Und doch freut und überrascht mich immer wieder dabei zu entdecken, wie der Glaube, den sie aus der Heimat mitgebracht haben, sie begleitet, ihnen Kraft und Mut gibt und sie durch alles Schwere hindurch trägt. Natürlich würden sie auch dieses Jahr gerne wieder in viel größerer Gemeinde, viel lauter und bunter feiern, als es zur Zeit möglich ist.
Aber die Freude lassen sie sich nicht nehmen und singen werden sie, vielleicht nur mit dem Smartphone mit anderen verbunden: „Ihr, die ihr immer noch in euren Sünden gefangen lebt, denkt daran, Christus ist gekommen, Euch zu erlösen.“ So die zweite Strophe im vietnamesischen Text von: „Stille Nacht – Heilige Nacht“. Wir dürfen uns von dieser Freude anstecken lassen.
Ist also unsere Befindlichkeit heute und unsere Weihnachtsfreude so gänzlich von den äußeren Umständen und inneren Sorgen und Ängsten bestimmt, dass wir nur dann richtig Weihnachten feiern können, wenn es „uns gut geht“, wenn alles soweit „in Ordnung ist“ mit der Welt oder der Kirche? Und wann bitte, war denn das so, dass alles so weit in Ordnung ist…? Ist das nicht eine viel zu enge, kleinbürgerliche Vorstellung von einem „gemütlichem Weihnachten“, die kaum etwas noch zu tun hat mit der großen Botschaft der Errettung in aller Not und Dunkelheit dieser Welt, wie sie im Evangelium aufleuchtet und wie sie alle Jahre AD, nach Christus, verkündet und gefeiert wurde: „Das Volk, das im Dunkeln lebt, schaut ein helles Licht, denen die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf…!“ So die erste Lesung der Weihnachtsnacht aus Is 9,1. Und dann im Dunkeln, auf dem Feld, draußen, die Hirten: „Fürchtet euch nicht! Heute ist euch der Retter geboren…!“
Das war die Botschaft für Alfred Delp mitten in der Kriegs- und Nazizeit, und sicher auch in der DDR haben Christen unter den damaligen Umständen sehr tief und gläubig Weihnachten feiern können. Warum also wir heute nicht? Oder haben wir aus der „Heiligen Nacht“ viel zu lange schon eine gewohnte, ruhige und romantische Weihnacht gemacht…. An der sich meine Jesuiten-Mitbrüder aus Lateinamerika schon in den 80er Jahren in Frankfurt sehr gestört haben: „Das hat doch alles nichts mit dem Evangelium der Befreiung für die Armen zu tun, was ihr da zu Weihnachten veranstaltet,“ sagten sie. „Weihnachten, das muss eigentlich draußen gefeiert werden, so wie es der heilige Franziskus wollte, außerhalb der gewohnten Sicherheit, Wärme und Geborgenheit…“ So begann meine Weihnachtspredigt für die Gefangenen in der JVA Dresden 2016. Die Gefangenen schauten zuerst ein wenig verdutzt, „draußen“?, bis sie merkten, dass es eben auch das „draußen“ außerhalb der ordentlichen Gesellschaft meinte, also sie hier, genau sie im Gefängnis!
Wie also wird es uns an diesem Weihnachten gelingen, Christus, als den Retter, „draußen“ zu entdecken, außerhalb der gewohnten Ordnung und familiären Idylle, also die Botschaft der Befreiung und Erlösung neu zu verstehen, und dann und daraus auch eine echte Freude und neuen Frieden zu Weihnachten zu finden, auch in diesem Jahr 2020. Fangen ruhig wir an mit einer wirklich „Stillen-heiligen“ Nacht.
Herzliche Grüße zum Fest!
Ihr P. Stefan Taeubner SJ Leipzig